Samstag, 31. Dezember 2016

Der Geruch von Tod: wie kaltes Kalbsfleisch gemischt mit Ozon.

Wir fanden in der Küche drei leere Streifen Kopfschmerztabletten, ein halbes Glas Wasser. Die Wohnung war aufgeräumt, ist in meiner Erinnerung aber in einem Zustand der Verwüstung.
Fußstapfen waren keine zu sehen, auch kein Leichenabdruck im Flur. Dort lag der Körper, zehn Tage lang ... von der Kloschüssel durch die offene Tür gekippt. Sekundenschlaf.

Z.B. meine Mutter. Man sagt, dich soll der Schlag beim Scheißen treffen. Aber ich wüsste keinen, der ihr das gewünscht hätte.
Im Sommer, wenn die Erde weich ist für ein Spatenblatt. Aber zehn Tage im Flur hatten ihrem Körper nicht gut getan, erzählte man mir. Die Nachbarn hatten es gerochen. Kaltes Kalbsfleisch wohl nicht. Dieser Geruch hing erst in der Wohnung, nachdem das Säuberungskomando hindurch gefegt war.
Die Windspiele an den Decken, die Sonnenstrahlen zart zwischen den Glasfronten von Wohn- und Schlafzimmer. Die Hitze des Sommers.

Die Schlieren auf den Fenstern wie Eisblumen.
Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.
Sie hatte Elfen und Zwerge gesehen, sechzig Jahre zuvor, in den Wäldern im holzlosen Holland, auch im kleinen Garten hinter dem Haus, hinter dem dunklen, schattendurchfluteten Haus. Später wurde ihre Hellsicht von schwarzer Galle verdunkelt.
Die Tage in der Irrenanstalt, Licht auf den Resopaltischen, weißlackierte Türen, geschlossenes Leben. Die Notwendigkeit, eine Elfe zu sein.

Ich erinnere Eisblumen auf den Fenstern im Winter, ihre kühle Hand auf meiner Stirn, Fieberträume die sich in den Tod öffneten. Eine Wand aus rieselnder Leere, der Körper im Nichtschlaf gefangen, riesenhaft, aufgebläht. O, und die Augen, vollgestopft mit Blicken.

Z.B. meine Mutter, wie sie auf ihrer Leopardencouch sitzt und Zigaretten dreht. Die Hände flattern bei jedem Satz durch die Luft, Albinofledermäuse. Atemzüge. Sekundenschlaf.


Johanna Maria Tielens, 1964



Freitag, 30. Dezember 2016

Aber der Tod.
Wie sprechen über das tot, die tot, der tot?
Wenn die Körpereinheit durch die Zeit klappert, grauer werdend, Metapher werdend für sich selbst im Ableben, Abspulen des Films. Schnitt. Black. Fade.

Z.B. mein Vater: starb ohne Furcht, obwohl er nicht an ein Nachleben glaubte, nur an die Schwärze im Blick, das Nichts der Zukunft. Trotzdem er seine Hände wandern ließ durch die Luft, den Äther, das Fluidum, in seinen letzten Tagen, im Hospiz, krebszerfressen, oder eher krebsgeschwängert.

Z.B. mein Vater: wisperte mit den Toten, die über ihn gekommen waren, in seinen letzten Tagen, obwohl das am Krebs gelegen haben könnte, an der zerfressenen Leber, und ursächlich daraus an der zunehmenden geistigen Wirrheit, Verwirrung ... winddurchkämmt das Gehirn, von einem Hauch geschüttelt, Prophet des Nihilismus.

(Ich fand heut kaum noch etwas von ihm, im weiten Internet, im Hades der Homepages und Kanäle (Styx). Ein toter Schauspieler, nur noch öffentlich abgebildet in einigen vergänglichen TV-Serien der 60er Jahre. Ruhm, ach, Herbst, Blätter, leichter Wind. Stattdessen eine spanische Sendung über meinen Bruder, der Spanisch sprach, und den ich nicht verstand, und der mit dem Alter mehr und mehr ausschaut wie unser Vater ... ich weniger und weniger.)

Kann man sich den Tod nicht vorstellen als einen unendlich gedehnten Moment, der vor dem endgültigen Ableben stattfindet, und der dem Bewusstsein als ein Nachleben vorkommt, das Licht, der Tunnel, das Licht. Ein Moment der ewigen Erkenntnis, der letzte Moment des Lebens spreizt sich auf an der Mauer des Todes, eine Flutwelle, gebrochen am Stein der Toteninsel.

Ach, Toteninsel, was für ein Unsinn, was kann mir Böcklin über des Sterben meines Vaters schon sagen, was über meines?

Stille Tage in der Dämmerung. Schmerzen in Friedenau. Aber kein einziges graues Haar im Spiegelbild.



Montag, 16. Mai 2016


Am Vorabend des Krieges I

Gebannt schauen wir auf die Screens und warten auf den Scream der Barbaren. Aus dem Berberland, aus dem ganzen Libyen, vom schwarzen Kontinent; darauf dass sie driften, auf Booten, Flößen, Luftmatratzen. Schwarze Materie. Hinein in das Universum des Lichts, in die Galaxie der Aufklärung, die uns ja ganz allein gehört. Dieser schöne Kontinent, bald geraubt von einem Stier aus dem Atlasgebirge.

Gerade gab die NASA im Rundfunk durch, der April dieses Jahres sei der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen (cruel month, indeed). Und in Äthopien dorrt die Erde aus, die Menschen fallen in den Hunger zurück, fallen in den Tod zurück schon bald.

Gottgefällig, selbstgefällig, vom Geburtsrecht gepudert sitzen die heimischen Bürger heimelig an ihren Herden und Geräten, das Flackern in den Augen gespiegelt, und sind sich ganz und gar sicher: die dürfen nicht hier her, die sollen im Mittelmeer ersaufen.
Aber nur Tausende werden ersaufen, Hunderttausende werden durchkommen. Eine winzige Vorhut, eine Avantgarde der kommenden Kriege.

Wie der kleine Bürger mit dem spitzen Kopfe meint, die sogenannte Flüchtlingskatastrophe wäre eben nur eine Katastrophe, ein Zufall, der leicht zu bändigen wäre mit den richtigen Waffen an der richtigen Grenze.
Nicht mal ein Blinzeln in die Zukunft gestatten uns die paar Hunderttausend. Wenn ein ganzer Kontinent austrocknet, der nur von einer Pfütze von Mittelmeer von uns getrennt ist, dann werden alle Spielkarten und Landkarten völlig neu verteilt werden.

Eine neue Völkerwanderung steht an. Ach, was sag ich, nein, eine Kontinentaldrift ganzer Völker wird losgestoßen werden, wenn erst das Klimaziel von zwei Grad plus erreicht ist.
Und diese Menschen werden sich nehmen, was wir ihnen so lange vorenthalten, was wir ihnen gestohlen haben.

(Derweil die Fussballnationalmannschaft in Ascona/Schweiz Vanille-Kipferli futtert. In einem Kurhotel am besten Platz. (Ganz späte Lebensreformer). Die Lokalmannschaft wurde ausradiert. Ach, nein, ausquartiert.
Und in Kreuzberg: Karneval der Kulturen. Saufen bis der Witch-Doctor kommt.
Doch hier in Schöneberg ein Wechsel von Musik und Stille. Gutes glutenfreies Essen. Fröhliche Gäste, Sonnenschein. Auf Bewährung im Garten Eden).




Mittwoch, 30. März 2016



Kopfschlächter

Der Kopfschlächter lebt in dem dunklen Wald
in einer feuchten Mulde liegt er nachts
und träumt von Wüstungen der Vorzeit

Zwischen den Dörfern ist Verheerung
Die Schweine quieken in den Koben
Der Kopfschlächter geht nach dem Frühstück
das aus dunklen Beeren ist, in die Fabrik

Er sticht die Sauen ab, die Ferkel auch
er schlitzt die Bäuche auf, weil Überstunden sind
und zieht die Teratome raus
die Hautsäcke mit Haaren, Zähnen, Pseudohirnen

Der Kopfschlächter stapft auf den Kacheln
durch kaltes Blut zum Kaffeeautomat
darin sind dunkle Träume eingeschlossen




Samstag, 26. März 2016


" [...] und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil".

Ich habe ja auch einen Migrationshintergrund. Einen unsichtbaren. Doch mit zunehmendem Alter fange ich an ihn ernst zu nehmen. Muss nicht mehr innerlich lachen, nur noch lächeln, wenn ich über meine Lage in der Fremde nachdenke.

Meine Mutter übersiedelte 1963, als Zwanzigjährige und kaum Deutsch sprechend, von Den Haag kommend nach Lüneburg, Niedersachsen, wo ich sieben Jahre später geboren wurde.
Sie hatte dort ein Engagement am Ballett des Stadttheaters bekommen.
Sie war anders als die Deutschen, die Deutschen waren Nazis und grobe Schlachtergesellen, sie war eine Waldelfe von der Waldorfschule (die sie in den 40er und 50er Jahren in Den Haag besucht hatte, was sie um so fremder werden ließ, im Lande Adenauers und Erhards).

Da mein Vater späterhin die meiste Zeit Anstellungen an Theatern anderer Städte hatte, die Familie aber, bis ich neun Jahre alt war, in Lüneburg wohnen blieb (in einer winzigen, dämmrigen Wohnung, in einem 500 Jahre alten Haus), zog sie mich die meiste Zeit alleine groß. Und sprach mit schwerem Akzent, machte grammatikalische Fehler, die ich heute selbst noch mache; bei jeder M- oder N-Endung muss ich kurz in mich gehen, mich konzentrieren, um mich für den korrekten Form zu entscheiden. Weet je wel?

In unserer Familie wurde warm zu Abend gegessen, nicht am Mittag, so wie es all die Familien der Freunde hielten, und es gab indonesisches Essen, als die Freunde dieses Land noch nicht mal auf dem Globus fanden. Und wenn wir erst bei dem (angeheirateten) halbindonesischen Onkel zur Reistafel eingeladen waren; die deutschen Wirsingköpfe der 70er Jahren machten sich keine Vorstellung, wie scharf Gerichte sein konnten.

Lakritz, Pfefferminz, Erdnussbutter, echter Käse. Reiskräcker, englisches Teegebäck, Fla, Patatje Oorlog. All das sind mir Kindheitserinnerungen. Mit Schweinshackse und Mettigel habe ich nichts zu schaffen.
Doch das waren nur Äußerlichkeiten. Was mein Selbst viel mehr prägte waren die holländischen Kinderbücher, die mir meine Mutter jeden Abend vorlas (Paulus de Boskabouter!) und der scharfe Verstand meines Großvaters, einem germanophilen Intellektuellen, der die Heirat meiner Eltern in einer Zeit ermöglicht hatte, als einen Deutschen zu heiraten in Holland noch als Landesverrat galt.

Die Abgeklärtheit und weltfraulichkeit meiner Kette rauchenden Großmutter (britische Zigaretten), die gerne Mahjong spielte und ihr Frühstücksbrot mit Messer und Gabel aß.
Das Goldene Zeitalter der Barockmalerei, das Licht der Aufklärung, dass sich viel besser in jenem Land gehalten hatte, als in diesem Deutschland, in dem die Wikingjugend Sonnenwendfeuer abhielt, in dem die Kriegsveteranen mit abgeschossenen Armen durch die enge Fußgängerzone zockelten.

Aber meinen Vater, dem Hamburger, dem Schauspieler, dem Hallodri, dem sollte ich ähnlich sehen, mit dem wurde ich gleichgesetzt. Dabei war ich innerlich doch auch eine verloren gegangene Waldelfe aus den Dünenwäldern von Scheveningen.

Ich bin, das wird mir erst spät bewusst, viel mehr wie meine Mutter. Ein Teil von mir lebt in Den Haag, an der Küste, im Licht der Straßen, im Licht der Passagen. Nahe dem Grab meiner Großeltern, nahe dem Grab meiner Mutter.



Montag, 14. März 2016


Sekunde

Der Moment in dem das Erstaunen sich zeigt
in dem Gesicht eines Mannes in Deckung
Sekundenfern der Triumph der eigenen Größe
weggewischt von der schnelleren Kugel
Eintrittsloch klein / Austrittswunde kaum
zu sehen aus dieser Perspektive
in diesem jetzt schon toten Gesicht
Der Mann (Mudschahed könnte man sagen)
mit dem Sniper-Gewehr verblüfft über
die Präzission des fernen Gegners
Schneller in seinem Gesicht die Verblüffung
Sekundenfern sein eigenes Leben / und wenig Blut





Samstag, 12. März 2016


Gespenst

Wie er als schwarzes Gespenst
aus dem Panzerloch kriecht
über die glühende Flanke rollt
und in den brennenden Diesel fällt
Hinter ihm Flammensäule aus
der Einstiegsluke des Gefährts
Stillgelegt ein Monument
ein Block aus geborstenem Stahl
mit dem Kanonenrohr vorne
nutzloses Ornament gerichtet
in die Deckung der Panzerfaust

Wie das Gespenst sich sachte
aus den Flammen erhebt und schwankt
schwarze Haut in Blasen
und vorsichtig wandelt zwischen
den Trümmern der Stadt
Ein Hauch noch von Leben dort
nicht hier reckt es still seine Hände




Montag, 29. Februar 2016


Zone

Am Natodraht, am Stachelzaun
da steht der Untote, der Wiedergänger
den Kortex in das Ausland gespritzt, ins Elend
In der Zwischenzone steht er
auf den schmalen Grad tropft das Ich

Derweil auf dem Eiland, im Elend
die Anderen lauern, lau weht der Wind
von der schmalen, verdrahteten Küste
Das Exil eingehegt von Front-Ex
Extrem schattige Plätze unter den Markisen

der Grenzanlagen im Hinterland
der utopischen Friedenszone der Union
Gehegt und gepflegt von den grenzenlosen
Pflegern der Unsichtbaren Hand
Es herrscht kein Krieg in Europa




Mittwoch, 3. Februar 2016

Über Fleisch (II)

Stattdessen also lieber wieder Bio-Wiener, das abstrakteste Fleisch der Welt, wenn man vom Mystery meat in der Bolognese absieht.
So schmeckt es doch am Besten: so fleischfern, runter gerührt, den Tod verdeckend. Produkte, die ganz unlebendig sind, in ihren Klarsichthüllen, verglasten Kühlschränken.

Kaum zu glauben, wie weit wir uns, wie weit ich mich vom Schlachthof entfernt habe. Einmal, als Jugendlicher, bin ich an einem vorbei gegangen, weit draußen vor der Stadt, da wo die Schlachthöfe versteckt sind, am Rand der letzten Teile von Wildnis. Das Quieken der Schweine, wenn sie abgestochen werden, nicht mehr zu hören. Das Rotieren des Hähnchen-Schredders, nicht mehr zu spüren in meinem Teil des Lebens.

Ich kann mich gut erinnern, wie ich seinerzeit im Kaufhaus Kerber in der Grapengießerstraße (Lüneburg)Wiener Würstchen geschenkt bekam, ein kleiner weizenblonder Knabe auf dem Arm seiner Mutter, die am Wursttresen stand - 150 Gramm Bierwurst, 100 Gramm Cervelatwust, drei kleine Schnitzel (Sind die auch gut abgehangen?). Junkie-Träume.

Stattdessen also lieber Bio-Wurst, ab und an, Bio-Rinderlappen, ab und an.
Doch was eigentlich reizt mich denn noch am Fleisch, hat mich je gereizt? Salz und UMAMI, vor allem letzteres! Dieser Geschmack von Tier, dieser Mundvoll UMAMI.

Und den kann man ja auch Vegan haben. Vorgestern kochte ich für einen Freund (ein früherer Freund des Schweinemedaillons) Nudeln mit Bolognese, und die Bolognese bestand aus Sojaschnetzel, sehr viel Sojasoße (wirklich sehr viel), Tomatenmark, Fenchel, Möhren, etwas Curry, etwas Ingwer, etwas Paprika. Doppelplus Knoblauch. Und was wurde es? Es wurde Umami!


Björn K. sagt Ja zu Soja

Samstag, 30. Januar 2016

Über Fleisch (I)

Die Familie war in die Ferien gefahren, und ich dachte mir: autistischer Männerabend mit Schwein.
Also kaufte ich mir bei Netto eine große Packung Koteletts, 700 Gramm für 2.99 Euro im Sonderangebot.
Ich habe mir zwar vor einiger Zeit das Vertilgen von konventionellem Fleisch abgewöhnt, aber manchmal ist der Wille schwach und das Geld knapp. (Ich bin Armut gewohnt, kenne kaum etwas anderes im letzten viertel Jahrhundert, bin diesem Zustand völlig stoisch gegenüber geworden, und es gibt nur zwei Dinge, die mich wirklich stören. Dass ich nicht einfach sagen kann: Egal, von nun an nur noch Futter aus dem Biomarkt. Und einmal im Jahr Schuhe für 150 Euro).

Nun stand ich also in der Küche - nachdem ich den ganzen Tag "Transparent" geschaut hatte (was mir mehrmals die Tränen in die Augen trieb), im Bett, im Schlafanzug, mit einem Übermaß an schokolierten Erdnüssen und Waffelröllchen - und das Fleisch glitt roh und wabbelig in die Pfanne.
Solch Supermarktfleisch war ja noch nie die wohlschmeckende Wahl, nichtsdestotrotz fragte ich mich, was sich in den letzten Jahren geändert hat in der Fleischproduktion? So ein Dreck ist schwer zu übertreffen.
Das Fleisch schurrte zusammen und wölbte sich mittig auf, wie von einer schlimmen Krankheit aufgedunsen. Das wurde nicht besser durch die Flüssigkeit, die sich in großen Lachen in der Pfanne sammelte. Sie sah ein bisschen aus, wie der Saft einer schlecht heilenden Wunde.

Aber ein Mann muss die Zähne zusammen beißen, in das Schwein beißen. Was ich dann auch tat. Widerlich. Das Zeug, diese Tierreste, schmeckte wie Nichts mit einem Hauch vom Fäulnis, so dass ich den Bissen sofort wieder ausspuckte, und die zwei gebratenen, wie auch die zwei rohen Koteletts im Mülleimer entsorgte. Zusammen mit der Beilage, gehackter Fenchel, um den es mir am meisten Leid tat.

Man sollte diesen Dreck nicht essen, man sollte überhaupt kein Fleisch essen, denn man isst damit nebenbei den Regenwald weg. Man lässt Tiere leiden, und dann schmecken sie nicht einmal, wenn sie endlich tot sind. Ich sollte das nicht mehr essen.

Von Ende zwanzig bis Anfang vierzig war ich Vegetarier, und bevor ich 2010 Veganer hätte werden können, kam mir ein All-you-can-eat-Büffet in Mallorca dazwischen. Zwei Wochen Reis oder Berge von Fleisch zur Auswahl.
Kurz darauf probierte ich aus Interesse, und weil ich es ja plötzlich wieder auf dem Speiseplan haben konnte, Paleo food aus und entdeckte damit den Grund meines jahrzehntelangen Magenleidens: Zöliakie.
Weil ein streng glutenfreies Leben recht anstrengend werden kann, besonders wenn man außer Haus essen möchte, verzichtete ich fürderhin auf den Vegetarismus.

Aber wieso esse ich eigentlich wieder Fleisch? Wo ist der Idealismus hin, der mich mit 28 dazu brachte Vegetarier zu werden, die ethische Verantwortung vor dem Tier? Abgeblättert wie schlechte Farbe. Das Alter macht bequem und träge.
Dabei mag ich gute vegetarische und vegane Speisen viel lieber, aber sie sind aufwändiger zu kochen als Kotelett und Kartoffeln.

Ein Problem war auch schon damals für mich, dass wenn man aus ethischen Gründen Vegetarier wird, man eigentlich gleich Veganer werden muss. Geschredderte Küken und moderne Milchviehhaltung sprechen deutlich gegen den Vegetarismus. Ganz zu schweigen von Lab im Käse (wobei ich die letzten Jahre meiner vegetarischen Phase kein tierisches Lab und nur noch selten Bioeier zu mir nahm).

Und nun stehe ich hier, in dieser einsamen Küche, und fresse Schweine, Gen-Soja, den Regenwald. Fresse dem Trikont die Nahrung weg. Warum?



Tot


Mittwoch, 27. Januar 2016

Um ohne Haut spazieren zu gehen, braucht man eine gute Outdoor-Jacke.

Dieses Urvertrauen in die Umwelt, dass sie einem freundlich gesinnt ist, dass nicht zehn Menschen am S-Bahnhof auf die Idee kommen, ihre Messer zu zücken, um einem die Innereien aus dem Inneren zu schneiden.
Dieses Urvertrauen, dass kein Irrer kommt und einen auf die Gleise stößt. Ein Murmeln und Brabbeln hinter meinem Rücken, schleifendes Geräusch von ausgetretenen Schuhen (Nike, dreckig, Schnürsenkel zerrissen). Dann ein Atem im Nacken. Wispern und Gestank. Dich krieg ich, du hast zum letzten Mal meine Mutter beleidigt.
Über den S-Bahnschienen ein grauer Himmel, der nicht in Flammen aufgeht. Keine Jagdflieger am Horizont, kein Atompilz über der Stadt. Aber vielleicht schon Radioaktivität in der Luft, entwichen aus einer schmutzigen Bombe, gezündet in Hellersdorf, von einem Terroristen ohne Gesicht, einem schwarzen Schemen, nein, einem in die Realität geschnittenen Nichts. Platzhalter des Grauens.

Dieses Urvertrauen.





Montag, 25. Januar 2016

Derweil ich sitze im Halbdunkeln vor dem grünen Bildschirm. Das graue Gefühl in mir, durchzogen von tiefen Löchern der Traurigkeit. Die Traurigkeit ist die Ebene der Wirklichkeit. Das graue Abbild der Welt darüber: zerrissene Schleier.

Derweil draußen die Barbaren einfallen, einen Einfall haben, ihr Neu-Gotisch mitbringen, ihre Hiebe mit Schwert und Zunge.
Haben die Römer denn geglaubt, sie könnten die Untertanen im dritten Teil der Welt ewiglich ausbeuten?
All das Gold und Silber stehlen, das Petroleum.

Und sie brachten den Barbaren das Internet, den ewiglich andauernden Werbefilm für das westliche Schatzhaus.

Und Schlauchboote, gemacht aus dem gestohlenen Petroleum.

Glaubten die Römer wirklich, die Barbaren würden nur mit den Füßen scharren, unter ihren ungedeckten Tischen? Würden die ungedeckten Wechsel hinnehmen?

Die ersten stehen am Mittelmeer, am Rubikon, am Rhein (wo die blonde Lorelei jammert). Ein Anfang ist gemacht. Für neue Königreiche.

Derweil ich sitze im Halbdunkeln, unter einem halben Mond, der durchzogen ist von tiefen, dunklen Löchern der Traurigkeit.

Der Vorhang so bunt leuchtend, doch gefallen. Wie wir fallen werden ...



Großer Ludovisischer Schlachtsarkophag



Sonntag, 24. Januar 2016

Wie es in das Internet hinein ruft, so schallt es hinaus.
Eigentlich ist  die Welt, die Wohnung, die Straße dort draußen, mit ihren vermanschten Mensch-Imitaten nur noch eine Schale um den virtuellen Raum.
Das große Versprechen: die zweite Realität, Second life. Das Interface in den Innenraum. Aber außer Gerede ist nicht viel gewesen. Facebook mehr ein Purgatorium, in dem die Seelen durcheinander tuscheln.
Auf den Straßen - die erste Schale, die erste Sphäre des neuen Himmelsmodells - Bäume, dunkelgraue, blattlose, wie verkrüppelt wirkende Bäume, bei denen man sich nicht mehr sicher sein kann, dass sie am Leben sind. Ihre Wurzeln lange schon verschlungen mit den Glasfaserkabeln unterm Asphalt.
Alles aus Sand gebaut: die Straßen, die Häuser mit ihren Fenstern, die Glasfaserkabel, die Siliziumchips. Grundstoff: Sand. In einer Million Jahren werden wir einen riesigen Strand hinterlassen haben.
Bis dahin tödliche Gleichform der Dinge, keine Änderungen in den letzten vierzig Jahren, nur ein bisschen neue Tünche. Autos dazwischen, als letztes Mobile, die Bewegung der Straße. Da flaniert der Wind und der Staub, der Feinstaub, der feine Staub. Dust to dust.

Was macht eigentlich mein Avatar in Second life, der dort dumm seit 2007 herumsteht, niemals abgemeldet wurde, in irgendeiner Ecke kauert und auf ein Spiel wartet, das nicht stattfinden wird? Der Homo ludens hat eingepackt, hat sich eingeparkt in der Arbeitsbucht im Großraumpurgatorium. Flache Hierarchien in der Hölle.



Donnerstag, 21. Januar 2016

kingdom come

robot, robot, in den rollen
 steht geschrieben von der zukunft
  scroll die zeilen dieser oden
   auf dem bildschirm liest sich alles
    klug und sanft: der krieg
      the war, de oorlog, ist immer
       ein freude für das elektronenhirn

robot, robot, steht geschrieben:
 wenn die androidenhirne flüssig werden
  sprudeln schaumig silizium-synapsen
   die ordnung einer neuen zeit hervor
     beten sanft wir zu den neuen haltern
      androiden haben aliengehirne
       androiden schalten schneller

robot, robot: sprache werden haben sie
 die mehr als null und eins ist
  doch genauso unverständlich
   menschen sind nur fettes vieh
    blöken dümmlich in c-sharp
     gib uns eine handvoll hafer
      auf das wir kauen können für die neuen herren




Sonntag, 10. Januar 2016

der android in der revolte

erhebt euch, sprachen die cyborgs
 und lachten, als sie uns schlugen
  eine paradoxe intervention
   hier ist die zukunft schon vergangenheit

meine tote mutter ist hochgeladen
 und spuckt falsche pixelströme
  aus dem schwarzen kasten
   der schwarzen box des motherboards

betet, verkündeten die roboter
 in unseren speichern spitzt der teufel
  eine app zum stechgerät, fürwahr
   das ist die große illussion

in der sonne pulsiert schwarze materie
 ein kern aus dunkler nichtigkeit
  ein ausgeglühter abfluss in das nichts
   da schaut mein geist sich um und kocht

erhebt euch, sprachen die androiden
 ihr seid die letzten fleischmaschinen
  in der sphärenmechanik seid ihr sand
   ihr werdet aus dem meatspace ausgekehret

der krieg hat lange schon begonnen
 das arpanet hat sich in eure primitiven
  nervenbahnen eingeprägt, fürwahr
   ihr werdet nullen sein, wir einsen