Freitag, 24. Januar 2014

Am Insulaner (dem Hügel aus Weltkriegsschutt) befand ich mich heute Nachmittag in einem Brueghel, einem grau gefirnissten Barockgemälde.
Die Kinder schnellten auf ihren Schlitten den verharrschten Hang hinab, eingemummt in dicken Mänteln und Mützen, mit Dampf vor den Mündern, aus denen spitze Schreie der Begeisterung in die einsetzende Dämmerung hallten.
Eine Grisaille. Nur Grautöne waren wahnehmbar. Das feinste Perlgrau der beschneiten Wiese ging über in einen Himmel aus Granit.
Und unter diesem Himmel mein Junge und ich, auf einem Schlitten Marke Davos, mit roten Wangen und leuchtenden Augen; es hätte nicht barocker sein können.

Mit klammen, vor Kälte unter den Nägeln schmerzenden Fingern, zog ich meinen Sohn später durch die Kleingärten, und der Himmel über uns: groß und unwirklich, als wäre schon immer Winter gewesen. Glück könnte man das nennen.
Zu Hause dann fand ich einen großen Briefumschlag auf meinem Schreibtisch, den mir meine Frau hingelegt hatte. (Mein Briefkastenschlüssel schon vor Wochen verschwunden). Und sie selbst hatte sich ebenso hingelegt, zerschlagen von dem täglichen Broterwerb, aber doch auch mit glühend roten Wangen.
Im Briefumschlag eine Aufforderung des Arbeitsamts, der ich Folge zu leisten haben würde (irgendwelche Dokumente würden herbeigeschafft werden müssen), und die mir die Laune verhagelte.
Im Barock wäre ich ein Tagelöhner gewesen, oder würde in Frohn arbeiten, oder wäre bereits verhungert. Aber vielleicht mit mehr Würde.

Ach, im Barock zu leben wäre großartig gewesen. Formidabel, famos.
Der nächtliche Himmel übersät mit Sternen, die Landschaft in ein durchsichtiges Dunkelgrau gehüllt, in der Ferne ein paar Herdfeuer.
Gedichte hatten noch einen Wert, Facebook war noch nicht erfunden (das dieser Tage in einer amerikanischen Studie mit der Beulenpest verglichen wird).
Echtes Essen, direkt im Wald geschosssen (mit den ersten Flinten) oder gesammelt, auf den Feldern mit der Sense geerntet, von den Sträuchern gespflückt. Echtes Essen, wenn auch gelegentlich leicht über dem Mindeshaltbarkeitsdatum.
Keine Autobahnen, keine Windräder, keine Überlandleitungen, Hochspannungs-
masten, Maschendrahtzäune. Und rauchen durfte man in jeder Taverne, wenn auch nur Pfeife (Zigaretten sind ja noch gar nicht erfunden gewesen).
Und Wald! Viel Wald! Dichter Wald! (Mit Wölfen und Räubern).
Beulenpest! Blattern! Lepra! Englischer Schweiß (die mysteriöseste Krankheit der Menschheitsgeschichte).
Keine Antibiotika! Keine Betäubungsmittel außer Alkohol und Tollkirsche.

Ich wäre verreckt an der Meningokokken-Infektion, die mich vor fünf Jahren auf das Krankenlager warf, so wie in seiner Zeit vermutlich Mozart.
Oder ich hätte mir den Darm in einem Leistenbruch eingeklemmt, den ich mir vor drei Jahren operieren ließ (die ersten dieser Operationen wurden vor rund 130 Jahren von Eduardo Bassini durchgeführt). Ein eingeklemmter Darm ist kein Vergnügen; das Gewebe stirbt ab, wird nekrotisch. Man verfault bei lebendigen Leibe, wenn einen die Sepsis nicht vorher dahinrafft. (All die Verblichenen).
Ach, wie liebe ich das 21ste Jahrhundert! Die abgepackten, konservierten Lebensmittel, das elektrische Licht, die Gedichte der Kollegen, Wikipedea! Facebook!
Wenn ich in den Wald, wenn ich Wölfe und Räuber mit meinem Claymore-Schwert zerschlagen will, fahre ich das Notebook hoch und spiele: Vergessen. Oblivion


N.N.

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Mittwoch, 22. Januar 2014

Es gibt Lichtstimmungen, die mich an meine Kindheit erinnern. Aber es ist mir trotzdem ein Rätsel, warum mich gerade dieses hellgraue Winterlicht in die Kindheit bringt, das heute vom frischen Schnee in mein Zimmer reflektiert wird.
Und dieses hohe Zimmer mit dem floralen Stuck des Jugendstils, mit dem Fischgrätparkett und den ägyptisierenden Türklinken erinnert mich ebenfalls vage an meine Vergangenheit, obwohl ich in einer ganz anderen Wohnung großgeworden bin. In den winzigen Räumen eines mittelalterlichen Hauses, in dem eine dunkel gebeizte Barocktreppe in die Hausdiele führte; mit kalten Kammern, in denen die Fenster nach außen hin öffneten. Bei Sturm schlugen die Fensterflügel gegen die Fassade, im Winter waren die Scheiben überzogen von Eisblumen.
Es gibt Bilder in meinem Kopf, die wie Ikonen an meine Schädelwand gehängt sind, aber ich weiß nichts mit ihnen anzufangen. Ein anderes Zimmer erinnere ich, da war die Stirnwand mit einer Phototapete bedeckt, ein tiefgrüner Wald, sonnendurchflutet, spätsommerlich, vielleicht auch schon herbstlich. Da hätte ich reingehen können, denkt das konservierte Kind in mir.
Aber ich bin in diesem Zimmer niemals gewesen. Ich habe jahrelang über diesen Raum nachgedacht. Ich kann mir nicht versichern, dass dieser Raum existierte. Diese Fremdheit.
Draußen vor den Fenstern das Licht in den Hängen der Häuser, der Schnee auf dem ausgeglühten Asphalt.



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Dienstag, 21. Januar 2014

der nepper, der schlepper

ich bin der nepper, der schlepper, der bauernrapper
ich kill deine kuh im nu. schmu mach ich niemals
ich bin fieser als das dickste rind, mein kind

Ich bin der landwirt. den sand wird keiner beackern
auf den feldern der poesie wird niemand rackern
ich säe die buchstaben in den boden
doch es wächst keine buche, schon gar keine oden
darum schlag ich euch mit meinem slam in die hoden
denn ich schlag gern zu, ich mach keinen schmu

ich weiß, kein scheiß, ich schreib die falschen gedichte
ihr wichte. bald drück ich euch den slam, bäm bäm
mit schwerem schock in eure rockfalten, ihr alten penner
wie nennt man euch: lyrikkenner? (könnt ihr behalten)
ich werd euer ich spalten. ihr macht bald den kalten

ich bin der nepper, der schlepper, der bauernrapper
ich kill deine kuh im nu. schmu mach ich niemals
ich bin fieser als das dickste rind, mein kind


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Werde ich jetzt berühmt, wird die BILD über mich schreiben? Erhält dieses Werk (das ich machte) jetzt auch 3 Millionen KLICKS, wie Julia Engelmanns nachdenkliche POETRY?



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