Donnerstag, 27. September 2012

(Kurz nach 24 Uhr – immer diese Nachtgedanken. Es kommt mir vor, als wäre ich manchmal nur richtig zusammen gebaut, wenn die Dunkelheit sich senkt, und die Stille hinterher kippt, in einem langsamen Segelflug von den Klippen der Sprachlosigkeit)

Ich habe mehr und mehr das Bedürfnis im Verborgenen zu leben, ungehört, in leeren Räumen. Aber der Tag bricht doch immer wieder an. Kaum vorstellbar, dass die Zeit weiter fließt. Denn ich bin immer in dem selben Fluss. Ist das schon Satori, wenn der Kopf ganz und gar leer läuft?

Aber es ist nur das Alter, das in mich hinein greift und alles ausleert, bis auf die Erinnerungen. Geisterhaft ist all das Leben geworden, das sich verflüchtigt hat. Die 90er Jahre sind schon eine Erzählung für die Kinder geworden. Ich sitze im Halbdunkeln und höre Mazzy Star, und die Platten dieser Band liegen einen gleich langen Zeitraum zurück, wie die Platten von Velvet Underground, als ich sie zum ersten Mal hörte, in den frühen 80ern. Die kamen mir damals ganz historisch und ganz naheliegend vor.
Die Platten von Mazzy Star höre ich noch immer (die von den Velvets kaum noch), und es scheint mir, ich hätte sie gerade letztes Jahr gekauft, auch wenn die Nachwendezeit sich im Speicher meines Kopfes einfügt wie das Abbild einer Ära aus dem vergangenen Jahrhundert. Ja, aus dem vergangenen Jahrhundert.
(Der Dichter reißt die Augen auf und wispert mit schreckerfüllter Stimme): Wir werden alle, alle Sterben.
Bis dahin noch ein wenig Musik von Mazzy Star, immer wieder diese drei Platten. Denn sie haben leider nicht mehr aufgenommen, weil die Sängerin Hope Sandoval auch so eine Person war, die über Jahre hinweg in die Leere verschwand. Zwei Soloalben folgten noch und viel Stille. Dabei war diese Band, diese Sängerin, vermutlich das Beste, was in jenem Jahrzehnt zu hören war.
Ich erinnere mich, wie ich in der Junction Bar hinterm Tresen stand und Among my swan jeden Abend mehrmals auflegte. Draußen vor den Fenstern verschwand Kreuzberg in einer Explosion aus Nacht, und in der Bar war fast alles gut. Nach der Schicht gingen wir in den Keller und tanzten bis wir betrunken waren zur Musik von Tricky, Massive Attack und Portishead. Die Jahre waren ein schwach erleuchteter Fiebertraum. Es gab Drogen, Frauen und Nervenzusammenbrüche.
Es gab Kellerbars, Hinterzimmerbars, Dachbodenbars. Und immer war Nacht; in den Wintermonaten sah ich kein Tageslicht. Es war die Zeit, in der ich mir die Nacht angewöhnte. Gib mir noch einen Schuss Dunkelheit.

Alter Mann, geh Schlafen, keiner will das hören.




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