Mittwoch, 15. August 2012


 Merkwürdig, dass die 90er Jahre auch schon ganz historisch geworden sind; alle Kinder, die jetzt dort draußen herum laufen, sind erst nach jenem Jahrzehnt geboren.
„Akte X“, „The Simpsons“, „Cagney and Lacey“. Warum erinnert man sich immer zuerst an Fernseh-Serien? Wie man auch zuerst an „Raumschiff Enterprise“ denkt, wenn man sich an seine Kindheit in den 70ern erinnert, an „Mondbasis Alpha 1“ und „Die Waltons“.
Oder an Groschenromane in den 80ern: „Geisterjäger John Sinclair“, „Professor Zamorra“, „Monstrula“, „Dämonenkiller“.
Nachdem die meisten Heft-Serien (wenn auch nicht die Erstgenannten) mit dem Erscheinen des Privatfernsehens verschwunden waren, aber natürlich nicht die potenzielle Leserschaft, habe ich mich oft gefragt, wo sie hin sind, die schnell geschriebenen Geschichten, der Schund. Ich habe sie wiedergefunden. Als ich mein neues Kindle zum ersten Mal online schickte und im Kindle-Shop stöberte, so wie ich seinerzeit in Flohmarktkisten stöberte, fand ich sie alle wieder; die Zombie-Heftchen, die Space-Opera-Zyklen, das ganze Universum des Trashs. Die Arbeit all der Schriftsteller, der Lohnschreiber, die in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr für Lohn schrieben, die vermutlich von ihren Ehefrauen lebten, oder von der Stütze. Hier finden sie wieder ein Publikum, das jedes noch so kurze und abgeschmackte Werk mit ausführlichen Rezensionen adelt.
Und in der Bestseller-Liste der E-Books auf Amazon stehen diese Machwerke, die schnell und unprofessionell geschriebenen Zombie-Apokalypsen zwischen den Veröffentlichungen von Heyne und Bastei-Lübbe.

Gleich nebendran die Klassiker gratis. Nehmen sie sich noch ein Pfund Goethe. Packen sie eine Schnitte Hölderlin auf ihr Triebwerk, nein, Laufwerk.
Ich sehe die Felle der Verlage davon schwimmen. Irgendwann bleibt Bastei und Suhrkamp nichts anderes mehr übrig, als, nach der großen Markbereinigung, zu fusionieren. Dann erscheinen die Horror-Romane von Schiller in einer wohlfeilen Paperback-Ausgabe mit Goldschnitt.
Ach, ich erinnere mich, damals, eine Zeit in der Hölle. Aber John Sinclair kam eine Runde vorbei und knallte die Geister und Untoten mit seiner Beretta ab. Die war geladen mit Silberkugeln. Die machten jeden kalt.
Schon in der Kindheit hatte ich mich in die Phantastische Literatur verguckt, las Jules Verne, Gustav Meyrink, Edgar Allen Poe (natürlich auch Bücher wie „Das Raumschiff der Kinder“ oder „…“) und war fasziniert, wie Herr Spock auf der Mattscheibe des Schwarz-Weiß-Fernseh-Geräts gesagt hätte.
Mit elf hörte ich dann zum ersten Mal eine Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft („The Outsider“), und auch ich war verloren an den Schund. Und kaufte mir, mein Freund Joe hatte mit das ans Herz gelegt,  jede Woche das neueste Heft des Geisterjägers. Er hatte den Namen eines Arnachists und Dichters. Und meine Eltern sahen es nicht gerne, dass ich mich täglich mit Monstern beschäftigte, und mein Großvater sagte, das würde den Charakter des Kindes verderben.
Aber was soll ich sagen; das brachte mich zum Schreiben. Und in meiner ersten Kurzgeschichte löste eine ältere Dame ihren fetten, trägen Ehemann in Salzsäure auf. – Es war ein weiter Weg von dort nach hier.
Nun sitze ich hier und schreibe an meinem Blog anstatt an meinem Roman, der seit über einem Monat liegt. Die ersten zwei Drittel sind fertig und überarbeitet, aber der Rest will sich nicht in meinem Kopf zusammenfügen, es entsteht immer nur eine Mischung aus Albert Camus, Ingeborg Bachmann und Jason Dark. Das geht natürlich nicht, aber mein Gehirn will nichts anderes denken. Ich sollte wieder Horror-Romane runter schmieren. Kindle wartet auf mich.

In den 90ern, da gab es noch kein Kindle, obwohl ich mich erinnern kann, schon in den frühen 80ern von der E-Ink-Technologie gelesen zu haben. Aber es hat ein viertel Jahrhundert gebraucht, bis ich dieses elektronische Buch in den Händen halten konnte. Und es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Zwischen diesen Zeiten lag das Nachwende-Jahrzehnt, in dem es noch kein Internet gab, und mobile Telefone nur von Angebern, Geschäftsmännern und Nerds benutzt wurden (dieses Wort hörte ich auch zum ersten Mal 1993, aus dem haltlosen Mund einer Prinzessin aus Yale). Was, in Gottes Namen, hat man damals den ganzen Tag gemacht, außer seinen Kater auszukurieren und Postkarten zu schreiben, die von Friedrichshain nach Kreuzberg drei Tage brauchten. Neolithikum der Kommunikation. Unsere Gehirne sind anders geworden seitdem. Electric Cro Magnon.

(They say I´m wasting time, they say that I´m no good)

Florian Voß, nachts

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